Taunus-Zeitung vom 20.8.08Taunus-Zeitung vom 20.08.2008
Als die Vereine noch fürs Lachen zuständig waren

Für unsere Serie «Im Stadtarchiv aufgestöbert» suchten wir nach der «Volksbelustigung» der Orscheler im 19. Jahrhundert.

Von Karl Heinz Arbogast

Oberursel. Humor muss schon immer eine todernste Sache gewesen sein, sonst hätte der Oberurseler Verein Humor – vor 118 Jahren gerade erst gegründet – nicht sein Mitglied Adolf Löw durch einstimmigen Vorstandsbeschluss aus seinen Reihen geworfen. «Löw hat unseren kulturtragenden Verein in aller Öffentlichkeit als Bubenverein bezeichnet.» Und der Verein war ja nicht irgendeiner. Im Gründungsprotokoll vom 10. August 1890 kann er als Inventar nicht nur ein Willkommensschild, eine Schelle, ein Protokoll- und ein Cassa-Buch nennen, sondern auch 21 Blasinstrumente, eine Harmonika, eine Pauke und zwei Becken, von zwei Fackeln ganz zu schweigen.

Der Verein hat die üble Nachrede überlebt, nicht aber das Jahr 1921, in dem er mit dem seit 1917 existierenden «Stammtisch Frohsinn» zum Verein Frohsinn verschmolz, der seither das Gründungsjahr 1890 feiert und der bedeutendste Taunuskarnevalverein um Oberursel ist. Jedoch sind längst alle anderen, der Volksbelustigung dienenden Gruppierungen auf der Strecke geblieben. Vor 150 Jahren war das ganz anders.

Nach gründlichen Recherchen im Stadtarchiv schrieb Angelika Baeumerth in «Oberursel am Taunus – eine Stadtgeschichte» (Verlag Waldemar Kramer): «Wahrscheinlich 1872 wurde das Bürgercasino gegründet, ein Verein, in dem sich vor allem gut situierte Bürger zum Zweck der geselligen Unterhaltung trafen.» Das Städtchen zählte damals noch keine 3000 Seelen, Film und TV gab es noch nicht, und weder Fußball noch Olympia konnten das Volksgemüt in Wallung bringen. Es schlug die Stunde der Laiendarsteller. 1984 wurde der Theaterverein «Thespiskarren» gegründet. Seinen Statuten zufolge sollte der Verein «Oberursel während der Wintermonate humoristische Vorstellungen geben und ein Drittel des Reinertrages der hiesigen Armen-Kasse zufließen lassen».

«Nur gemütliche Zusammenkünfte und gewerbliche Unterhaltung» gab der neue «Club Einigkeit», dessen Mitglieder zum größeren Teil Arbeiter waren, als Vereinszweck an. «Stilles Vergnügen» taufte sich eine Bürgergruppe, die Geselligkeit pflegte, bei der Fastnacht schon eine große Rolle spielte. Als sie allerdings zu Fastnacht 1865 ein Lustspiel «Die Schwarzen und die Roten» aufführen wollten, schritt der Landgendarm ein, weil dies politisch ungebührlich sei.

Fastnachtliches Brauchtum pflegten auch die Turner, deren heute noch bestehende TSGO beispielsweise 1889 im Saale des «Bären» – da, wo heute die Bärenarkaden stehen – bei freiem Eintritt eine «große carnevalistische und spezialistische Rau-, Wau-, Schau- und Trauerballade» aufführte. Die zwölf Programmnummern klangen mit dem Einakter aus: «Der letzte Lawinenlutscher aus der Zeit von 1800 Brodesrinde bis zur Katastrophe im Eschbörnerloch.» Offensichtlich bedurfte es schon höherer närrischer Weihen, um solche Titel zu erfinden. 1889 gab es nicht nur diesen Höhepunkt, sondern auch Maskenkränzchen im «Schützenhof», «Tanz-Belustigung & Maskerade im Allemannia», dem Felsenkeller und dem Bären. Nach 1890 entstand dann noch die «Humoristische Gesellschaft Edelweiß».

Baeumerth ermittelte in Sachen Unterhaltungsangebot: «1878 zählte man in der Stadt fünf Gesangvereine. Der älteste war der 1842 gegründete Gesangverein Harmonie. 1871 folgte der Gesangverein Männerquartett, 1973 Amicitia und 1875 der Liederkranz, der später mit Amicitia zusammenging. Auf der Hohemark gab es seit 1873 den Gesangverein Alpenrose, seit 1883 den Verein Eichenkranz. Im Industriewerk Sensenwerk am Eisenhammerweg bildete sich 1894 der Gesangverein Sensenwerke.» Auch die Chöre pflegten närrische Termine. Mit dem Ersten Weltkrieg (1914– 1918) und seinen vielen Toten unter den jungen Oberurselern hängt es zusammen, dass die Zahl der Gesang- und Belustigungsvereine im neuen Jahrhundert dahinschmolz.

Einzig der Frohsinn, seit 1921 mit dem «Humor» vereint, bestand alle guten und schlechten Zeiten des 20. Jahrhunderts und beginnt in einigen Monaten mit den Vorbereitungen für das 2010 zu feiernde 120-jährige Bestehen. Im Stadtarchiv liegt ein fast 200 Seiten starkes Festbuch, das Wolfgang Weber 1990 zum 100-Jährigen des Vereins herausgebracht hat und das eine wahre Fundgrube für die Geschichte der Orscheler Fastnacht bildet. Dort ist auch nachzulesen, dass die Narren nicht nur gern der Obrigkeit was am Zeug flickten, sondern es nicht am schuldigen Respekt dem «hochlöblichen Bürgermeisteramt» gegenüber fehlen ließen.

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